Geheimnisvoll beginnt die Geschichte der Schützen-Bruderschaft von Hagenbroich und Windberg. Auf der ältesten Rosette des Schützensilbers ist St. Clemens dargestellt, vier Buchstaben „S.C.P.T“ weisen auf ihn als Pfarrpatron hin und der umlaufende Text lautet „ANNO 1655 * AN * DAS * HAGEN * BRUCK * ODER * WEINDBERGH *“. Der Name eines Schützenkönigs oder Texte, die auf ein Königsvogel-Schießen oder gar ein Schützenfest hinweisen, sind nicht vorhanden. Die Gründung der Schützenbruderschaft Hagenbroich Windberg im Jahr 1655 ist damit eindeutig belegt. Bis heute sind allerdings keine weiteren Aufzeichnungen dazu bekannt. Gerne wüsste man, warum die Gründung gerade zum damaligen Zeitpunkt geschah und wie man sich die ersten Jahrzehnte des Bruderschaftslebens vorstellen kann. Manches lässt sich dazu erschließen, wenn man die Lebensumstände jener Zeit betrachtet. Doch zuvor einige Anmerkungen:

Erstes bürgerliches Zusammenwirken in Bruderschaften

Bruderschaften, Gilden, Zünfte und Gaffeln sind Begriffe aus dem Mittelalter für Gemeinschaften des bürgerlichen Zusammenwirkens. Diese Vereinigungen standen mit unterschiedlichen Schwerpunkten „im Dienste der Religion, der praktischen Nächstenliebe, der sozialen Fürsorge, im Dienste der Heimat und Volksgemeinschaft.“ Wenn man es konkreter beschreiben will, waren Gebet und Andacht, Unterhalt der Altäre, der Kirchen und kirchlichen Dienste, Hilfe bei Armut, Krankheit und Tod, Regelung und Pflege des Zusammenlebens sowie Schutz der Menschen und der Heimat ihre Schwerpunkte. Die Schützenbruderschaften verkürzen dies heute zutreffend mit dem Leitbegriff „Glaube – Sitte – Heimat“.

Unser vormals Hagenbroicher Hauptlehrer Josef Deilmann und der frühere Pfarrer von St. Clemens, Dr. P. Norrenberg, haben die Vergangenheit unserer Heimat und ihrer Bruderschaften anschaulich beschrieben. „1560 gab es in Süchteln acht Bruderschaften, die Heiligkreuz-, Liebfrauen-, Nikolaus-, Agnes-, Sebastianus-, Barbara-, Joerns-, und Urbanus-Bruderschaft.“ Namensverbindungen zu Hagenbroicher Einwohnern lassen vermuten, dass die Joerns-Bruderschaftler, bezeichnet auch als Georgs-Schützen, vielleicht „als eine Vereinigung der Junggesellen in Hagenbroich zu Hause waren.“ Doch es bleibt fraglich, ob schon damals eine der Bruderschaften in Hagenbroich und Windberg ihre Heimat hatte.

Räuberbanden und Kriege als Anlass für die Gründung

Von 1628-1658 währte der Dreißigjährige Krieg und brachte viel Elend und Not an den Niederrhein. Auch durch den jülisch-clevische Erbfolgekrieg 1609-1666, französisch-holländische Kriege von 1666-1668 und 1672-1678 und weitere kriegerische Auseinandersetzungen wurde Süchteln in Mitleidenschaft gezogen. Die Burg Uda in Oedt, sehr nahe bei Hagenbroich und Anfang des 14. Jahrhunderts errichtet, war immer wieder umkämpft und wurde 1643 von feindlichen Truppen zerstört. „Ende Februar 1654 hielten spanische Völker in Süchteln Nachtrast.“ Im Juni 1657 wurde „das Städtlein Süchteln Sammelplatz des Lothar Töllerschen Regiments.“ „Die Rekrutenmusterungen nahmen kein Ende. Die Schuldenlast der Gemeinde vergrößerte sich zusehends.“ Niemand wird annehmen, dass in jenen unruhigen Zeiten „ANNO 1655“ eine Bruderschaft gegründet wurde, deren erstes Ziel Umzüge, Feste, Feiern und ein Vogelschießen als fröhliche Unterhaltung waren.

„Einen Anstoß zur Verbreitung und Ausgestaltung der Schützenbruderschaften gab ein Befehl des Herzogs Johann Wilhelm I. von Jülich. Als nämlich infolge der beständigen Kriegsleiden das Bedürfnis einer besseren Sicherung des Eigentums sich immer mehr fühlbar machte, ordnete der genannte Herzog am 6. Februar 1597 an, dass in allen Orten der Ämter Brüggen und Gladbach Schützenkorps gebildet werden sollten. … Im Jahr 1607 wurde die Süchtelner Schützenwehr diesem Befehl entsprechend eingerichtet.“ … „Da die Schützen in Kriegszeiten ihren Landesherren Beistand leisteten, unterstützten diese die Bruderschaften gern in der Veranstaltung des Vogelschießens, das damals hauptsächlich den Zweck hatte, die Armbrustschützen in Übung zu halten. Als Zeichen der Huld wurden den Gilden silberne Vögel geschenkt.“ Dazu zählt auch der Vogel im Hagenbroicher Königssilber.

Es fällt auf, dass um das Jahr 1650 herum in unserer Heimat mehrere Schützenbruderschaften außerhalb der befestigten Orte gegründet wurden. Man kann annehmen, dass die damals fortdauernden kriegerischen Ereignisse den Selbstschutz notwendig machten. „Häufig zeigten sich vor den Toren feindliche Truppen und brandschatzende Banden. So wird schon 1592 berichtet, dass sich ‚etliches Kriegsvolk an den Portzen’ lagerte“, dem man übrigens Bier verabreichte, um es zum Wegzug zu bewegen. Doch die meisten Bedrohungen waren ernst und schmerzlich.

Der Vogel im Hagenbroicher Schützensilber und die Rosette mit der Jahreszahl 1655 lassen erkennen, dass sie als „Zeichen der Huld“ höheren Ortes vergeben wurden. Die Darstellung des heiligen Clemens, Gestaltung und Schrift haben eine beachtliche künstlerische Qualität, die aufwändige Silberarbeit ist höchst fachmännisch erfolgt. Wahrscheinlich wurde die Rosette in einer Meisterwerkstatt andernorts hergestellt und ist nicht mit ländlicher Kunst von örtlicher Hand gleichzusetzen.

Stiftungssilber von 1655

Wenn aber die Zeiten hart sind und die Not kaum größer sein kann, dann streben die Menschen doch danach, sich gemeinsam zu freuen und die Sorgen zu vergessen. Gemeinschaften, die nur der Geselligkeit dienten, gab es damals noch nicht. So ist es nicht erstaunlich, dass die Schützenbruderschaften ihre Übungen zum Erhalt der Wehrtüchtigkeit als Wettstreit gestalteten und mit festlichen Umzügen und Feiern verbanden. Es liegt nahe, dass dem Sieger der Titel eines Königs gegeben wurde und dass das festliche Geschehen mit militärischem Gepräge gestaltet wurde.

Dass es in Hagenbroich und Windberg bis zum Jahr 1671 dauerte, also sechzehn Jahre nach der Gründung, ehe uns der erste Schützenkönig P.T.Peutz auf einem Silberstern genannt wird, mag wiederum am Kriegsgeschehen liegen. Bis 1668 wird über kampfbereite Truppen aus Jülich berichtet, die in Süchteln standen. „Als Räuberbanden sich breit machten, eine Folge der Kriegsunruhen, befahl der Kurfürst schärfste Wachsamkeit und verbot den Wirten unter hoher Strafe die Aufnahme verdächtigen Volkes.“ Für diese Vorkehrungen hatten „allein Hagenbroich und Dornbusch nicht weniger als 24662 Reichstaler 10 Albus aufzubringen.“ Vielleicht hat man sich deshalb erst 1671 nach drei ruhigeren Jahren zu einem Schützenfest durchringen können. Wie es gefeiert wurde, wissen wir nicht, doch wir wünschen unseren Vorfahren, dass es ein frohes Fest war. Ein weiterer König wurde kurz darauf mit Goetzen Heycker 1672 erkoren. Das war gut so, denn schon begann wieder ein Krieg, dabei „wurde Süchteln weit mehr in Mitleidenschaft gezogen. … Im Juni 1672 erfolgte durch Süchteln der erste Durchmarsch französischer Truppen, die nach Kempen weiterzogen. Im September kamen neue Scharen.“ Sie verfuhren offenbar „mit der Bevölkerung nicht gar gnädig. … 1673 waren wiederum Franzosen in Süchteln anwesend. Peter Kroepels führte sie am 9. Februar durch das Bruch nach Kempen. … Am 10. Juli kam … der Herzog von Luxembourg mit 50 Pferden nach Süchteln. .. Im August lagerten im Hagenbroich französische Völker, anfangs Oktober marschierten spanische und holländische Regimenter durch Süchteln, gegen Ende des Monats kamen Kroaten, und im November erschienen wieder Franzosen mit 200 Pferden. Was Wunder, dass die neuen Kriegsabgaben 15703 Reichstaler betrugen! Ein Jahr später nahm das Frankenburgische Regiment Quartier in Süchteln.“ 1675 war es das Rabatische Regiment, was „verfüttert wurde, war gar nicht zu zählen“. Die Ruhr „fordert 1676 erschreckend viel Opfer. 1678 stand in Süchteln der „Regimentsstab des Freiherrn … zu Frankenberg. Dann rückten am 1. November die Franzosen mit 8 Kompagnien in den Ort ein. Erst der Friede zu Nymwegen (1679) brachte unserer Heimat wieder ruhigere Tage.“ Doch Lasten und Steuern waren offenbar noch lange drückend. Nur so ist zu erklären, dass erst 1686 und 1687 die Schützenkönige Eybert Pesser und T. Hagendar im Königssilber überliefert sind. Wir wollen ihnen gönnen, dass sie nicht nur unsere Vorfahren geschützt haben, sondern auch mit ihnen gemeinsam froh feiern konnten. Denn erst 1689 „mussten die Franzosen aus unserer Gegend weichen. Damit begannen die Bedrückungen von der anderen Seite.“ Die brandenburgische Garde verzehrte am 20. Juni 1689 „im Dornbusch allein für 31 Reichstaler Bier.“ Lüneburger kamen, dann fünf brandenburgische Regimenter und 1690 Hannoveraner. 1693 waren es brandenburigsche Gardemusketiere und 1696 das sonsfeldische Regiment. „Der Ryswiker Friede macht 1697 dem Kriege ein Ende."

37 Schützenkönige in einer etwas ruhigeren Zeit

Die Hagenbroicher und Windberger brauchten lange, um wieder Schützenkönige zu küren, doch dann beginnt ab 1704 ein reges Leben der Schützenbruderschaft, das bis 1789 währt und von dem uns in kurzen Abständen nicht weniger als 37 Schützenkönige namentlich durch Silberplatten, Sterne oder Gravuren überliefert wurden. Gerne wollte man sie alle nennen, doch es sind ihrer zu viele. Erwähnt sei aber Egbertus Dorckes, der auf der Platte von 1763 vermerkt hat: „Der Dohrn nach Art kleine Egbertus Dorckes hät gern Iungferen reine“. Erwähnt sei auch, dass 1782 offenbar die Gebrüder Johannes und Richardus Klasen sich die Königswürde teilten.

Immer dann, wenn Krieg und Not das Land überzogen, gab es Jahre ohne Schützenkönige. So wird uns von 1732 von 1741 kein König benannt, es war wieder Krieg im Land. „Ende Dezember 1735 lagerten in Süchteln kaiserliche Truppen … im Juni 1736 waren königlich-dänische Völker in Süchteln einquartiert. Hagenbroich hatte zu Aufenthalt und Durchmarsch der Heeresabteilungen mehr als 174 Reichtstaler beizutragen. Ein kurzer Friede ließ 1741 ein Schützenfest mit König R. Dors zu. Doch schon 1743 waren wieder Truppen in Süchteln, der nächste König Mathias Grueters wird erst 1749 genannt.

Von 1750 bis 1756 folgen jährlich Schützenkönige, die uns überliefert sind, dann hatten die Hagenbroicher anderes zu tun, sie mussten den Hagenbroicher Fahrweg und Brücken nach Oedt herrichten, Fahrdienste und Quartier leisten. „… im April 1759 lagerte französische Artillerie in der Honschaft Hagenbroich.“ Von 1761 bis 1789 war dann wieder regelmäßig an Vogelschuss und Schützenkönige zu denken, bevor 1793 der Krieg mit den Franzosen und die Franzosenzeit begann. Die Kriegsfronten gingen hin und her, ständig andere Besatzer hielten sich auch in Hagenbroich auf.

Wenn auch jene Zeit aus heutiger Sicht recht wechselvoll war, so mag sie dem Chronisten doch schon erträglicher erschienen sein. Es wird über Wahlen und Zollerhebung, Armenpflege und kleine Grenzstreitigkeiten mit juristischen Mitteln berichtet. In Hagenbroich herrschte fortwährend ein reges Leben, denn hier lag einst das „Dreiländer-Eck“ von clevischem, jülicher und kurkölnischem Gebiet. Die Namen „Heerbahn“ und „Ritterstraße“ sowie die alten Hohlwege deuten auf lebhaften Wandel hin. An Grenzposten und Schlagbäumen wurden Freund und Feind kontrolliert und Wegezölle von den Durchreisenden erhoben.

Die Namenlose wird zur Maria-Reinigung Bruderschaft

Das anscheinend lückenlos vorhandene Schützensilber vermittelt ein anschauliches Bild über das Wirken der Bruderschaft in ihren ersten zweihundert Jahren. Gleichzeitig gewinnen wir damit einen Einblick, wie es den Menschen in Hagenbroich und Windberg zu jener Zeit ergangen ist. Wenn Soldaten Familien und Höfe bedrängten, war an Vogelschuss und Schützenzüge nicht zu denken. Wenn aber trotz Hunger und Armut gefeiert wurde, konnte oft nicht einmal ein Stern des Königs im Schützensilber bezahlt werden, sein Name wurde dann auf einer anderen Platte eingraviert.

19 Jahre dauert es von 1789 an, bis wieder ein Schützenkönig ernannt wurde. Denn im Jahr 1794 besetzten Franzosen die Rheinlande, beschlagnahmten kirchliches Vermögen und verboten das Schützenwesen. Die Verbote wurden bis 1807 zurückgenommen. Und schon im folgenden Jahr 1808 ist uns mit Theodor Gortz in der „Hundschaft Hagenbrok gebuertig von Breyel“ wieder ein König genannt.

Alle zwei oder vier Jahre hat dann ein neuer König anscheinend durch Vogelschuss die Königswürde errungen, bis wieder mehrjährige Unterbrechungen eintraten. Der 18. Juli 1839 ist ein wichtiges Datum, es „bildete sich in Hagenbroich eine Bruderschaft unter dem Namen ‚Maria-Reinigung Bruderschaft am Hagenbroich’.“ Viel später wurde dies im ersten noch erhaltenen Protokollbuch mit deren Satzung niedergeschrieben. Darin werden die „Brüder“ angehalten, den Statuten „pünktlich nachzukommen, zur Ehre Gottes und zum Wohl der Nächsten sowie der christlichen und brüderlichen Liebe.“ Vieles wurde damals geregelt, was heute noch Tradition ist. Erstaunlich ist aber eine offensichtliche Unterscheidung zwischen den religiösen Bruderschaftlern und den aktiven Schützen, die in § 13 deutlich wird: „Diejenigen Mitglieder, so wie alle, welche sich der Schützengesellschaft anschließen, sind verpflichtet auf Vogel-Schießtag sowie Kirmes Vorabend jedesmal 10 Sgr. Vorgelag, und beim Nachgelag drei Sgr. Königsgeld zu geben.“

Es folgten ab 1839 wieder regelmäßig Königsvogel-Schießen in mehrjährigen Abständen, wie es auch heute noch gebräuchlich ist.

Ärger mit dem Nachwuchs: Die Junggesellen

Schon immer hatten die Junggesellen anscheinend in den Bruderschaften einen besonderen Rang. Zur Süchtelner Joerns-Bruderschaft um 1560 wurde bereits vermutet, dass sie als „Vereinigung der Junggesellen in Hagenbroich zu Hause war.“ In einem Vermerk zum König Peter Mollen von 1789 wird er ausdrücklich als „Junggesell-König“ bezeichnet. Anscheinend bestand damals eine Art Wettstreit zwischen Junggesellen und den Altherren des Ortes.

Als die Bruderschaft 1863 eine neue Fahne erhielt, geschah etwas seltsames: Wie in den Jahren vorher, „war die Königswürde von den Junggesellen errungen worden. Nach der Weihe wollten diese, da der König aus ihrer Mitte war, die neue Fahne dem Festzug vorantragen. Da man nicht einig wurde, verließen die Männer mit der neuen Fahne den Festzug. Die streitenden Parteien entfernten sich bald immer weiter, so dass endlich Junggesellen und Männer vollständig sich trennten. Auf das Königssilber glaubten natürlich beide Teile berechtigte Ansprüche geltend machen zu können. Weil man aber nicht zum Ziel kam, trug man die Angelegenheit dem Dülkener Gerichte vor.“ Um es kurz zu machen: Die Altherren waren bei Gericht schlecht vertreten und die Junggesellen erhielten das Schützensilber am 23. März 1864 zugesprochen. Im Jahr darauf erkoren sie ihren eigenen König Josef Kleinermanns.

Die Junggesellen blieben recht rege, aus ihren Reihen sind uns mindestens fünf Könige überliefert, der letzte, Christian Könnisser, im Jahr 1911. Die Gründung der Junggesellen-Schützen-Gesellschaft als eigenständige Vereinigung erfolgte erst 1891. Im Jahr 1894 erhielten sie eine eigene Fahne. Das Fest der 250jährigen Wiederkehr der Stiftung des Bruderschafts-Silbers im Jahr 1905 ist auf einem Stern mit König Arnold Thoenes erwähnt.

Damit ging jedoch die aktive Zeit der Junggesellen-Bruderschaft zu Ende, 1945 löste sie sich endgültig infolge Kriegsgeschehen und Wegzug auf. 1950 gaben die beiden letzten lebenden Mitglieder das Schützensilber wieder an die Bruderschaft zurück und 1973 geschah dies auch mit der Junggesellen-Fahne.

Gesellschaftlicher und industrieller Wandel

Wie überall traten auch in Hagenbroich und Windberg nach 1800 große Veränderungen ein. Arbeiten am nie vollendeten Nordkanal begannen 1808, die Industrialisierung nahm ihren Lauf, 1850 wurde die Landstraße Süchteln-Grefrath vollendet, 1870 wurde die Bahnverbindung von Süchteln nach Grefrath eröffnet. Der Staat nahm sich sozialer Belange an, allmählich wurden Bürgerschutz, Armen- und Krankenfürsorge, sowie Versorgungs- und Verkehrswesen von den Regionen, Städten und Gemeinden betreut. Die Bürger organisierten sich mehr und mehr zu freizeitlichem Tun, Sport, Gesang, Theater, Karneval und anderen Interessen in Vereinen. Als Tätigkeiten der Bruderschaften blieben ihre christlichen Aufgaben und das traditionelle Schützenwesen.

Neue Gruppierungen entstanden auch in Hagenbroich und Windberg. Um nur einige zu nennen: Blasmusik-Kapellen, eine Theater- und Karnevalsgesellschaft, die freiwillige Feuerwehr, Vereine der Schaf-, Ziegen- und Bienenzucht, eine Casino-Vereinigung und manches mehr. Besonders zu erwähnen ist der „Schützenverein Germania“, der nach einer noch vorhandenen Fahne 1903 gegründet wurde und dem Schießsport diente. Beim Restaurant Allen gab es viele Jahre einen Schießstand, an dem sich die Vereinsmitglieder regelmäßig übten. Er wurde wohl in Folge des Kriegsgeschehens aufgegeben.

Übergang zur Maria Lichtmess-Bruderschaft

Die Spaltung 1864 hat die Bruderschaft hart getroffen. Erst 1879 und 1884 finden sich wieder Könige in ihren Reihen. Im Jahr 1885 beginnt die Zeit schriftlicher Dokumente, die heute noch vorhandenen sind. Ein erstes „Bruderschaftsbuch“ enthält Niederschriften und Finanzberichte, die seither lückenlos fortgeführt wurden.

Daraus wissen wir auch, dass es von 1864 an bis zum Jahr 1924 nur gelegentlich – 1879, 1884, 1896 – Schützenkönige durch Vogelschuss gab. Alljährlich sind Beschlüsse notiert, nach denen die Mehrheit ein Vogelschießen ablehnt und „mithin das Vogelschießen für ein Jahr ausgesetzt werden musste“. Die Bruderschaft scheint im übrigen sehr geschrumpft zu sein, denn zu den Versammlungen erschienen gelegentlich kaum mehr als zehn Personen. Trotzdem wurde im Jahr 1895 eine neue Fahne eingeweiht.

Am 29.5.1924 begann die „neuere Geschichte der Bruderschaft“. Es wurde die Absicht bekundet, die Bruderschaft wieder aufzubauen. Schon am 19.6.1924 fand eine Generalversammlung statt, in der eine neue Satzung beschlossen wurde. In dieser Satzung ist der jetzige Name „Maria Lichtmess-Bruderschaft Süchteln-Hagenbroich-Windberg“ niedergeschrieben. „Diese Namensgebung ist im Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften einmalig.“ Erstaunlich ist die indirekte Wahl der Mutter Gottes zur Namenspatronin der Schützen-Bruderschaft über ein Marienfest. Dies ist um so bemerkenswerter, als auch für die Süchteln-Vorster Maria Empfängnis-Bruderschaft eine gleichartige Wahl getroffen wurde. Vielleicht wäre mit weiteren Nachforschungen dieses Geheimnis aufzuklären, auch im Zusammenhang mit der 1893 eingeweihten früheren Marienkapelle in Süchteln-Vorst.

Der neu gewählte Vorstand ging mit Schwung an die Arbeit, schon im September 1924 wurde nach dreißigjähriger Unterbrechung mit König Willy Draack und unter Beteiligung der Jungesellen-Schützengesellschaft und dem Schützenverein „Germania“ ein Schützenfest gefeiert. Durch den Erfolg beflügelt, fand schon im September 1927 mit dem König Wilh. Grauthoff erneut ein Schützenfest statt, das in seiner Gestalt heutigen Festen ähnlich war: Festzüge durch die Sektion, Prozession zum Heiligenberg und Gottesdienst an der Irmgardiskapelle, sogar ein Zug durch die Stadt Süchteln ist erwähnt. Zu den mitwirkenden Junggesellen und dem Schützenverein „Germania“ gesellte sich noch der Reiterverein hinzu.

Der Pfarrer der zugehörigen Kirchengemeinde, einst St. Clemens Süchteln, ist traditionell Präses der Bruderschaft. 1932 entstand die Pfarrgemeinde St. Franziskus als neuer Bezug für die Bruderschaft. Zu einem gemeinsamen Schützenfest aller Süchtelner war die Zeit nach einem damaligen Beschluss noch nicht reif.

Der vorübergehende Beitritt zur „Erzbruderschaft vom hl. Sebastianus“ wird 1929 erwähnt. 1933 lässt die Hilfe zur Linderung der Armut für Not leidende Pfarrangehörige den fortdauernden Geist der „brüderlichen Liebe“ durchscheinen. Danach kam jedoch das Leben der Bruderschaft zum Erliegen, wieder einmal waren die politischen Entwicklungen und der folgende Weltkrieg der Anlass dazu. In der Zeit der größten Kriegsbedrängnis reifte der Entschluss, in Hagenbroich ein Sektionskreuz zu errichten. Viele Mitglieder der Bruderschaft nahmen daran Anteil, so dass das Kreuz am Karfreitag, 7.4.1944, errichtet werden konnte. Es wurde später an die heutige Stelle der Kreuzung von Vitusweg und Weg zur Floethütte versetzt und ist inzwischen zu einem traditionsreichen Ort von Gottesdiensten bei den Schützenfesten und bei anderen Anlässen geworden.

Nachkriegszeit und mehr als 50 Jahre Frieden

Infolge der Not nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst an ein Schützenfest nicht zu denken. Die Bruderschaftler trafen sich, sie konnten sich auch damals noch nicht entschließen, Frauen in die Bruderschaft aufzunehmen. 1948 wird Johannes Klahses die Königswürde zugesprochen, die er beim Armbrust-Schießen 1950 verteidigt. Doch wie stets nach einem Krieg war der Wunsch nach einem Schützenfest groß. Als erster Versuch der Wiederbelebung der Bruderschaft nach dem Krieg schloß sich dem Vogelschuss 1950 ein Königsgalaball im Saalbau Menden an. Aber es dauerte noch bis zum Jahr 1958, ehe nach einer Unterbrechung von 31 Jahren wieder ein Schützenfest stattfand, mit dem König Arnold Schönkes als „erster König der Franziskusgemeinde“.

1972 wurde der Stadtverband der Süchtelner Schützen-Bruderschaften und der Schützengesellschaft Hagen gegründet. Sein Zweck ist die verstärkte Zusammenarbeit und eine Abstimmung der Schützenfest-Termine, die dann im Wechsel als Stadtschützenfeste ausgetragen werden. Das erste dieser Stadtschützenfeste fand 1973 in Hagenbroich statt. Die neue Satzung des Jahres 1975 ermöglicht auch evangelischen Christen und Frauen die Mitgliedschaft und verankert den Beitritt zum „Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften“. Konsequent war beim Schützenfest 1977 erstmalig eine Gruppe als Damencorps dabei. Es folgten regelmäßig Stadtschützenfeste, die in Abständen 1977 – 1980 – 1985 – 1989 – 1995 – 2000 in Hagenbroich ausgetragen wurden.

Am Beginn des neuen Jahrhunderts

Das jetzige Schützenfest im Jubiläumsjahr 2005 unterscheidet sich in Ablauf und Gepräge wenig von den vorangegangenen Festen. Es wird dem in diesem Bericht schon beschriebenen Schützenfest des Jahres 1927 ähnlich sein: Nach dem vorangegangenem Vogelschuss durch Uli van Vlodrop benannte dieser als König seine Minister. Bei den Schützenfesten der letzten Jahrzehnte lag der Schwerpunkt mehr als früher auf einer als „Königshaus“ bezeichneten Gruppe von König und Königin mit zwei Ministern und deren Partnerinnen. Prunkvoll sind sie ausgestattet mit festlicher Kleidung, Schmuck und Blumen um so auch bei Schützenfesten der befreundeten Bruderschaften und bei anderen Gelegenheiten für Hagenbroich und Windberg zu repräsentieren. Ein guter Brauch ist inzwischen auch, dass auf der Plakette, die dem Schützensilber beigefügt wird, König und Minister nebst ihren Partnerinnen „verewigt“ werden. Vor jedem Schützenfest werden über Wochen Rosen gebunden und Kränze geflochten. Diese Treffen tragen dazu bei, den Gemeinschaftsgeist zu festigen. Die Häuser des Königs und seiner Minister sowie des Offizierscorps werden auch von den Nachbarn geschmückt und der Zugweg mit Blumen und Maien verschönt. Der übrige Ablauf der Schützenfeste soll hier nicht erwähnt werden, weil er in dieser und älteren Festschriften ausführlich beschrieben ist.

Abschluss und Ausblick

Die 350jährige Geschichte der Maria Lichtmess-Bruderschaft Hagenbroich-Windberg lässt sich nicht lückenlos auf wenigen Seiten darstellen. Allein die Nennung von 76 uns bekannten Schützenkönigen bis zum heutigen Tag würde den Rahmen sprengen. Kaum geringer mag die Zahl der zu erwähnenden Schützenfeste in den vergangenen Jahrhunderten gewesen sein. Insgesamt wird aber deutlich, dass die Bruderschaft stets dem Leitbegriff „Glaube – Sitte – Heimat“ gefolgt ist. Sie hat sich den jeweiligen Erfordernissen der Zeit angepasst und sich entsprechend den ihr gestellten Aufgaben gewandelt. Immer hat sie jedoch im Sinne des christlichen Glaubens, im Dienst am Nächsten und von Tradition und Sitte der Heimat gewirkt. Als besondere Beispiele seien die Pflege und Dienste am Sektionskreuz, die Ausführung jährlicher Seniorennachmittage und weiterer geselliger Veranstaltungen und Ausflüge erwähnt. Ein schönes neues Zeichen der Heimatpflege war am 5.5.2002 die Errichtung einer Ruhebank am Scherpesch in der Nähe der Landwehr am Windberg. Die Beteiligung an kirchlichen Festen zählt zu den Aufgaben der Einbindung in die Pfarrgemeinde St. Franziskus, die auch darin zum Ausdruck kommt, dass der jeweilige Pfarrer seit eh und je Präses der Bruderschaft ist.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Pflege der Gemeinschaft und Geselligkeit inzwischen ein zentraler Punkt des Bruderschaftslebens geworden ist. König, Minister und Gefolge stellen sich bei Schützenfesten wirkungsvoll dar und repräsentieren die Gemeinschaft auch nach außen. Der Aufzug beim eigenen Schützenfest sowie bei den Festen befreundeter Bruderschaften und bei anderen Gelegenheiten sind Höhepunkte im gemeinsamen Leben derer, die die Bruderschaft repräsentieren. Nicht nur der König allein steht im Blickpunkt, sondern das „Königshaus“ gemeinsam mit den beiden Ministern und ausdrücklich ihren Lebensgefährten.

Ein Jubiläum ist ein guter Anlass, auf die Vergangenheit zurück zu blicken. Ein Rückblick macht Sinn, wenn er die Gegenwart einschließt und mit einem Ausblick verbunden ist. Die Gegenwart ist in dieser Festschrift an anderer Stelle ausführlich beschrieben und stellt sich im Ganzen erfreulich dar. Die Bruderschaft ist mit Abstand der älteste bestehende Verein der Sektionen Hagenbroich und Windberg und einer der ältesten Vereine Süchtelns überhaupt. Dies muss für die heute handelnden Bruderschaftler in mehrfacher Hinsicht Verpflichtung sein. Es gilt, das geschichtsträchtige Erbe zu erhalten und damit auch der Region Hagenbroich und Windberg zu dienen. Die Weichen dafür sind gestellt. Die Bruderschaft ist offen geworden. Die vormals unter dem Begriff „Junggesellen“ gepflegte Eigenständigkeit der Jüngeren sollte ein Zeichen für Offenheit gegenüber der Jugend sein. Seit mehr als zwanzig Jahren liegt die Mitgliederzahl der Bruderschaft unverändert um etwa 100 Personen und ist damit größer als jemals zuvor. Das ist bemerkenswert auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl, die im Jahr 2005 in Hagenbroich und Windberg 755 Einwohner beträgt. Dies sind kaum mehr als 1801, wo 695 Personen gezählt wurden. Im Jahr 1890 war die Zahl auf 1.274 Personen angestiegen, während der Bruderschaft damals nur einige wenige Mitglieder angehörten.

Wenn man unserer Heimatgeschichte nachgeht, erkennt man bald, dass nur sehr wenig aus der Vergangenheit noch greifbar und sichtbar vorhanden ist. Es gibt weder Gebäude und Spuren in der Landschaft noch Gegenstände aus der Zeit, als die Bruderschaft jung war. Einzig das Königssilber und die Fahnen sind uns als gegenständliche Beweise des Lebens unserer Vorfahren in Hagenbroich und Windberg erhalten. Das Königssilber der Bruderschaft ist somit nicht nur eines „der wertvollsten und besterhaltenen“ der näheren Umgebung sondern gleichzeitig für die Einwohner eines der wenigen erhaltenen kostbaren Erinnerungsstücke an unsere Vorfahren und an die wechselvollen Zeiten, in denen sie lebten.

Die Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass heute Hagenbroich und Windberg weniger Anlass zum Verweilen bieten als früher. Man „rauscht“ hindurch ohne es bewusst fest zu stellen, auch wenn die neue Ampel seit Mitte März 2005 zuweilen zu einem Halt zwingt. Um so mehr stellt sich der Maria Lichtmess-Bruderschaft die Aufgabe, für die Bewohner von Hagenbroich und Windberg ein Bezugspunkt zu sein und deren Gemeinschaft zu erhalten und zu fördern. Für alle anderen möge die Maria Lichtmess-Bruderschaft stets gute Anlässe bieten, die Aufmerksamkeit auf Hagenbroich und Windberg und seine Einwohner zu lenken.